Ich fall gleich mal mit der Tür ins Haus. Ich bin Münchner, und ich LIEBE dieses verdammte Spiel. Ja, es ist voller Laienschauspiel und dümmster Deutschen-Stereotypen, aber das gesamte Spiel ist einfach so voller Herzlichkeit, Herzblut und Leidenschaft, was die bayrische Geschichte angeht, dass man es einfach trotzdem liebhaben muss. Ich kann das am ehesten mit Speedy Gonzales vergleichen, der in den USA heute als problematischer Stereotyp gesehen wird, in Mexiko jedoch äußerst beliebt ist. Zu diesem Phänomen gibt es sogar einen ganzen Artikel auf TV Tropes. Ganz so tief in die Psychoanalyse möchte ich hier nicht gehen, aber einen Kriminalkommissar mit dem Namen "Leber" muss ich einfach großartig finden . Zudem wertet die deutsche Synchro das Spiel nochmal enorm auf und wirft sich geradezu auf die Klischees, die die englische Version anteasert.
Bei so viel positiven Worten über die deutsche Synchro soll aber auch ein Kritikpunkt nicht zu kurz kommen. Wichtige Punkte der Handlung hängen mit der Sprachbarriere zusammen. Gabriel selbst spricht kein Deutsch, und Grace kann zwar ein wenig Deutsch, aber ihr Wissen hat Grenzen. Die deutsche Version springt hier relativ frei zwischen "Gabriel/Grace verstehen einen Charakter nicht, weil ihre Deutschkenntnisse begrenzt sind" und "Gabriel/Grace verstehen einen Charakter nicht, weil dieser einen starken Dialekt spricht" hin und her. Und zwar ärgerlicherweise obwohl - wie erwähnt - die genaue Sprachbarriere für jeden Charakter zuvor schon mehrfach erwähnt wurde. Fairerweise muss ich allerdings dazu sagen, dass es gut sein kann, dass dieser Faux Pas in der englischen Version auch besteht - das weiß ich nicht, da ich diese noch nicht gespielt habe.




Kommen wir zum Thema Gameplay. Gabriel Knight II ist ein Full-Motion-Videospiel wie Phantasmagoria. Im Gegensatz zu letzterem Spiel stammen die Hintergründe jedoch nicht aus dem Computer, sondern sind zu 98% Fotos aus München, dem Großraum München und anderen Schauplätzen in Bayern. Locations sind der Münchner Marienplatz, die Weinstraße, der Zoo in Thalkirchen, aber auch der Starnberger See und Schloss Neuschwanstein tauchen auf. Der fiktive Ort Rittersberg besteht aus Rothenburg ob der Tauber (bei Nürnberg) und Burg Rabenstein. Als Weltkarten dienen eine Karte von Südbayern und ein MVV-Verkehrsplan. So ist das Spiel auch gleich noch ein Stück bayrische und Münchner Zeitgeschichte.
Das Spiel ist in 6 Kapitel aufgeteilt, in denen man im Wechsel Gabriel und Gabriels Assistentin/Angestellte/On-Off-Love-Interest Grace spielt. Allerdings gibt es in Kapitel 6, das länger ist als die beiden vorhergehenden Kapitel, auch noch ein Finale, währenddessen die Kontrolle zurück an Gabriel geht.
Ich muss übrigens immer wieder lachen, wenn ich alte Interviews von Sierra-Mitarbeitern, -Fans und -Verteidigern lese, da diese oftmals über Lucas-Arts-Adventures hergezogen sind, insbesondere bezüglich des "einfachen Interfaces". Gabriel Knight II hat eines der simpelsten Interfaces, das mir je in Adventure-Spielen untergekommen ist; lediglich die Phantasmagoria-Reihe ist noch wesentlich einfacher gestrickt. Der Cursor ändert seine Form automatisch in einen Dolch, wenn er über Gegenständen schwebt, mit denen man interagieren kann, und die Art der Interaktion - Öffnen, Einschalten, Benutzen, Nehmen - wird vom Spiel automatisch gewählt und kann auch nicht vorhergesehen werden. Der Charakter steht meist stocksteif im Raum, und bis auf 2, 3 Ausnahmen im Spiel kann seine Spielfigur nicht durch den aktuellen Raum bewegen. Dies ist dem Medium geschuldet, zu dem ich später noch einiges zu sagen habe.




Sprechen wir mal das Thema Ortswechsel an. Adventurespiele sind intern meist ein Räume aufgeteilt, dh. alles, was ein eigenes Hintergrundbild hat ist ein Raum. Das ist für das Verständnis dessen, was ich hier als nächstes beschreibe wichtig, da man in den Full-Motion-Spielen von Sierra oft ein Zimmer aus unterschiedlichen Perspektiven erkundet, die aber Spiel-intern immer unterschiedliche "Räume" sind. Wenn eine Aktion zu einem Ortswechsel führt, dh. man einen Ausgang aus dem aktuellen Raum benutzt, so ändert sich der Cursor meist in ein schwarzes Kästchen, in dem weiß das Wort "Weiter" geschrieben steht. Dies wird jedoch nicht konsequent gehandhabt, denn oft genug findet ein Ortswechsel auch dann statt, wenn der Cursor das Dolchsymbol zeigt. Insbesondere bei Türen war man sich Team-intern wohl nicht ganz einig, ob man diese nun "benutzt" (Dolch), oder ob dies einfach nur ein "Ausgang" ist ("Weiter").
Die meisten Interaktionen im Spiel werden in Form von kurzen Videosequenzen dargestellt, die meist nur ein einziges Mal abgespielt werden; anschließend begnügt sich das Spiel mit einem Kommentar, der als Audio-File eingespielt wird. Das ist meist dann der Fall, wenn man mit dem Gegenstand nicht mehr interagieren kann, oder erst einmal in der Story vorankommen oder einen Gegenstand finden muss. Allerdings gibt es für alle drei Szenarien merkwürdigerweise viele Einzelfälle, in denen doch noch ein Videoclip abgespielt wird, den man immer wieder triggern kann, ein Aufwand, der überhaupt nicht damit zusammenhängt, ob es sich um ein wichtiges Objekt handelt oder nicht. Ich gehe davon aus, dass ursprünglich geplant war, eine entsprechende Sequenz überall einzubauen, aber der Produktionsvorgang (dazu später mehr) dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Ein Beispiel hierfür: Grace befindet sich relativ spät im Spielverlauf vor einem Gebetsraum, will diesen aber nicht betreten, bevor der Gottesdienst darin zu Ende ist (in typischer Sierra-Manier müssen wir erst andere Aufgaben lösen, die hiermit nichts zu tun haben). Hier hätte ich bei weiteren Klicks eigentlich einen Kommentar wie "Ich komme erst wieder, wenn der Gottesdienst vorbei ist" erwartet. Stattdessen wird eine Filmsequenz abgespielt, wie Grace zu der Tür geht, zögert, und dann diesen Satz von sich gibt (der, wohlgemerkt ganz eindeutig auch eine Audio-Datei ist, die man in den Videoclip reingedubt hat). Auch bestimmte Ortswechsel-Videos (z.B. wie Grace von Schloss Ritter zum Rittersberger Ratshausplatz geht) sieht man immer und immer wieder. Zwar kann man solche Sequenzen überspringen, das gilt aber für alle anderen Sequenzen im Spiel auch. Das führt aber zu zwei weiteren Problemen: Erstens muss man oft 2-3 mal klicken, weil das Spiel komischerweise nur während ein Video spielt gerne mal Mausklicks frisst. Das führt dazu, dass man gern auch mal andere, anschließende Videoclips mit überspringt. Zweitens kommt es gelegentlich vor, dass bestimmte Sequenzen identisch beginnen, es aber gar nicht sind. Das wäre alles kein Problem, wenn man logisch davon ausgehen könnte, das nun etwas anderes passiert, aber wie schon erwähnt sind Event-Trigger in Sierra-Spielen nicht unbedingt logisch aufgebaut.




Der Großteil des Spiels besteht tatsächlich nicht aus klassischer Adventure-Rätselarbeit. Das, was es an Rätseln gibt, ist relativ Basic: Schraubenzieher in Loch um Geheimgang-Knopf zu drücken. Äußerst selten kombiniert man auch mal einen Gegenstand im Inventar mit einem anderen. Leider gibt es auch hier das ein oder andere Mondpuzzle.
Äußerst bedauerlich: Es gibt so gut wie keine Kommentare für falsche Item-Anwendung. Nur gelegentlich, wenn es darum geht einem Charakter einen Gegenstand zu zeigen, geben Gabriel und Grace einen Satz von sich, der dann aber für alle "falschen" Gegenstände immer der gleiche ist.
Einen vorläufiger Tiefpunkt gibt es an einem ganz bestimmten Ort im Spiel, der beide Unsitten kombiniert, und klickbare Punkte hat, die jedoch weder eine Videosequenz noch einen Satz auslösen. Der Cursor wird zwar zum Dolch, wenn man über diesen Punkten schwebt, bei einem Klick ändert sich der Cursor aber nur zu einem X um dem Spieler zu zeigen: "Nein, hier ist nix!" Das ganze hat, I shit you not, einzig und allein den Zweck, ein Pixel-Suche-Rätsel im letzten Spielkapitel zu ermöglichen.
Auch die altbekannten Sierra-Bugs begegnen einem hier wieder, und ich musste das Spiel 2, 3 mal neu laden, weil ich es in einem Zustand hatte, in dem ich das jeweilige Kapitel nicht beenden konnte. Ein Rätsel sticht gleich im ersten Kapitel des Spiels heraus, und es ist ein Prachtstück, denn hier gibt es gleich 2 Bugs zum Preis von einem.

Gabriel besitzt ein Diktiergerät, ganz altmodisch mit diesen kleinen Audio-Tapes. Damit kann man sich jeden Dialog, den er führt, noch einmal anhören. Dieses Gerät hat ZWEI Decks für Tapes, dh. man kann Dinge damit kopieren und überspielen. In einem extra dafür gestrickten Interface ist es gleich im ersten Kapitel nötig, aus einzelnen Sätzen einer Person eine Freigabe für einen normalerweise gesperrten Bereich zu stricken. Man muss sich den kompletten Satz zusammenklicken, und der muss genau dem entsprechen, was das Spiel will.
Zwar gibt es hier einen Hint-Knopf, der für jeden der drei benötigten "Abschnitte" (Ansprache des zu täuschenden Charakters, Vorstellung der Autoritätsperson, Zugang für Gabriel zum gesperrten Bereich) einen Hint liefert. Leider ist dabei der letzte Hint komplett verbuggt und spielt einen äußerst spoilerträchtigen Voice-Clip ab, der eigentlich erst sehr viel später im Spiel zu hören sein sollte .
Das ist aber nicht das Hauptproblem, denn das, was zum Hard-Lock des Speicherstands führt ist etwas anderes: Gabriel weigert sich, diesen Zusammenschnitt an irgend einem anderen Ort als in seiner Basis in Lochham anzufertigen. Sollte man den Voice-Clip mit dieser Weigerung triggern, so ist es unmöglich, den Zusammenschnitt anzufertigen, da Gabriel anschließend in Lochham nur den Satz von sich gibt, dass er bereits genug an dem Tape rumgeschnitten hätte. Ich berichte deshalb so eindringlich von diesem Bug, weil mir das bei meinem ersten Durchspielen des Spiels anno dazumal ebenfalls passiert ist. Damals sind fast 2 Wochen vergangen, bis ich verstanden hatte, was passiert war. Heute ging es zwar etwas schneller, aber nur, weil ich mich nach ein bis zwei Stunden des rumprobierens wieder an den Vorfall erinnert habe . In beiden Fällen musste ich das Spiel von vorne beginnen. Der Progress-Verlust ist nicht wirklich schlimm, schlimm ist eher, dass man gar nicht versteht, warum man nicht weiterkommt.




Die meiste Zeit im Spiel verbringt man aber wie gesagt eh nicht mit Rätseln, sondern damit, Informationen zu sammeln. Im Gespräch mit vielen Charakteren und dem Lesen ETTLICHER Dokumente und Bücher gilt es, Licht in das Dunkel der Story zu bringen. Zum Glück kann man sich diese Textfluten fast immer von Graceiel Gabriace Griel Gayce vom aktuell gesteuerten Charakter vorlesen lassen. Die Story stammt aus der Feder von Jane Jensen, die, neben der Gabriel-Knight-Reihe auch noch an der Cognition-Reihe mitgewirkt hat (mein erster Kauf auf Gog!), und deren Stil, ihre Werke der Fiktion mit ortsgeschichtlichem Hintergrund zu verbinden, hier besonders gut umgesetzt wurde. Die Meta-Story / Myth-Arc des Spiels ist auch entsprechend großartig.
Deutlich kritischer muss ich aber mit der eigentlichen Erzählkunst des Spiels ins Gericht gehen, und da müssen wir in erster Linie über die Videosequenzen reden. Wenn man dieses Spiel so sehr genießen möchte, wie ich, dann muss man sich eines bewusst machen: Gabriel Knight II ist ein B-Movie im klassischen Sinne, dh. ein Film, der viel wollte, dessen Vision jedoch durch Budget und Talent begrenzt wurde. Der Schauspieler von Gabriel spielt diesen wie einen typischen California-Surfer-Dude, was sich ein bisschen mit Tim Currys American Brit aus dem ersten und dritten Teil beißt. Grace hingegen ist ziemlich identisch mit ihrer Spiel-Version. Erwähnenswert finde ich noch den Charakter Harald Übergrau, dessen Schauspieler heute darum kämpft, von den Nazis beschlagnahmten Familiengrundbesitz zurückzubekommen.
Da die Fotografie zwar in München und Bayern stattfand, aber ausschließlich in Amerika gefilmt wurde, können die Schauspieler nicht wirklich mit der Umgebung interagieren. Dabei fallen doch einige perspektivische Kameratricks auf, deren man sich bedient hat, und in manchen Sequenzen von Film-Clips fehlen logische Abschnitte, die nicht immer mit üblichen Mitteln (Ab- und Aufblende der Kamera) kaschiert worden sind. Von fast keiner Aufnahme gab es mehr als zwei Takes, was man den Sequenzen mehr als nur einmal ansieht, aber auch einen gewissen Charme versprüht.




Wer ist der Mörder? Ein Werwolf! Wer ist der Werwolf? Das Spiel macht aus seinem Herzen keine Mördergrube (Pun not intended but welcomed) und beantwortet diese Fragen bereits ab dem Ende des ersten Kapitels. Ich war richtig erstaunt, wie unsubtil damit umgegangen wird, musste jedoch später feststellen, dass das Spiel damit rechnet, dass der Spieler seine Horror-Tropen kennt. Gabriel selbst enthüllt im späteren Spielverlauf ebenfalls, dass er genau weiß, was abgeht, der Spieler selbst sieht ihn aber nur unbeholfen wie ein drittklassiger Columbo durch die Gegend stolpern. Ob das jetzt wirklich schlimm ist oder nicht lass ich mal dahingestellt, ich find es nur etwas überraschend, wie wenig von Gabriels tatsächlicher innerer Reaktion man mitbekommt. Erst im letzten Drittel des Spiels lässt der Charakter tiefer in seine Gedanken- und Gefühlswelt blicken. Bei Grace hingegen besteht so ein Problem von Anfang an nicht.
Apropos Werwölfe: Gabriel Knight II beweist mal wieder, dass westliche Horror-Werke nur so lange Suspense haben, wie man das Monster nicht sieht, denn die Werwölfe sind furchtbar hässliche 90er-Jahre-Polygonkreaturen, die zudem noch wie ganz normale Wölfe aussehen - Monsterhaft ist an dem Design nix. Zu Spielende hat man sich nicht lumpen lassen und eine komplette Opernsequenz aufgenommen, die noch wesentlich beeindruckender gewesen wäre, gäbe es den lächerlichen Polygon-Werwolf nicht, der so überhaupt nicht in ein Live-Action-Spiel reinpasst.




Wie in den Gabriel-Knight-Spielen üblich ist es lange Zeit eher schwierig zu sterben, dafür hat man gegen Spielende gleich mehrfach Gelegenheit dazu. Gleich zweimal muss man sich mit einem Labyrinth vertraut machen, dass man später, unter erschwerten, tödlicheren Bedingungen, navigieren muss. Positiv vorweg sei erwähnt, dass, sollte man hier sterben, man mit einem Klick wieder zum Anfang der Sequenz springen kann. Gerade das letzte Labyrinth ist aber von einiger Scheißigkeit, da man es, ohne groß zu spoilern, aus der Egoperspektive spielt und seinem Widersacher hier den Weg abschneiden muss. Gleichzeitig muss man aber auch einen Pfad offen lassen, um ihn in die Enge zu treiben. Hier ist es sehr leicht sich zu "verbauen", was bedeutet, dass man keine andere Wahl hat, als sich töten zu lassen, um es noch einmal zu versuchen.
Im Anschluss, quasi als Finale zum Finale, wechselt das Spiel noch einmal zum klassischen Adventure-Interface zurück, und die daraufhin folgende Sequenz entbehrt jeglicher Logik, was die Abfolge an Klicks angeht. Erst, wenn man sich einmal erfolgreich Trial- and Error-mäßig durchgeklickt hat versteht man, was das Spiel von einem wollte. Und zu guter Letzt habe ich, wie schon bei meinem ersten Playthrough in den 90ern, komplett missverstanden, wie genau der allerletzte Klick im Spiel zu tätigen ist. |