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Thema: Unleben

Hybrid-Darstellung

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  1. #1

    Unleben

    Mal sehn, ob hier wer was damit anfangen kann

    *

    Langsam ziehst du die Vorhänge beiseite und zartes Licht scheint durch den Spalt. Du flüsterst sanft in mein Ohr: „Die Geburt des Morgens steht bevor, Liebling.“
    Die Verbände lösen sich, fallen zu Boden – niemand ist hier im Raum. Auf den Fluren herrscht dieselbe Stille, die immer schon da gewesen ist. So ruhig die Zimmer, in denen die Ärzte ihre blutigen Hände waschen. Sie waschen. Und waschen. Die Geräte reinigen. Das Skalpell …
    Wie die Nachwehen eines Bebens fühle ich noch immer deinen unsichtbaren Kuss. Das Morphium auf deinen Lippen. Deine künstliche Stimme vibriert in meinen Knochen, scheuert im Blutkreislauf, wie Sand im Getriebe. Verfault bereits das Blut in meinen Venen?
    Ein trüber, unwirklicher Engel oder der Geist eines Geistes bleibt zurück. Bleibt bei mir. Dein Gesicht und deine Gestalt, aber doch nicht wahr. Ich warte auf deine Rückkehr.
    Ich warte.
    Werfe mich in die Schmerzen, lasse sie kommen, ertrage sie. Für mich ist es die einzige Möglichkeit, mich wieder lebendig zu fühlen. Ich schließe die Augen.
    Heute Nacht werde ich warten. Auf dich.
    Ich werde sie rufen; werde sie rufen und der Gang wird nicht länger in Stille getaucht sein, wenn sie kommen. Und das Skalpell …
    … wird dir eine Karte mit dem Weg zu mir zeichnen.


    Die Sonne hat meine Flügel verbrannt. Funkelnd, voller Grazie und traumhafter Schönheit. Ich selbst bin im Feuer gestanden, aber ich habe gewusst, dass mir nichts geschehen kann. Die Show muss weitergehen. Ich muss weiterwandern. Seit dem Tag im Krankenhaus bin ich der Klatsch und die Glorie. Der Unbrauchbare und der Verwendete.
    Ich bin die Zurückweisung.
    Gibt es einen Grund dafür?
    Mein Herz ist verbraucht, zerstört. Trotzdem pumpt es weiter. Es versorgt einen Organismus, der lebt, obwohl …
    Als du dich damals umgedreht hast, bist du von innen verbrannt. Hast du der Sonne geglaubt? Du bist gestorben. Die Sterne haben bei deinem Begräbnis gefunkelt.
    Noch heute warte ich darauf, dass mich deine vertrauten Arme umfassen. Du hast mir meine Flügel genommen, denn du warst das sengende Licht. Ich hoffe, dass dich der Tod so sehr liebt, wie ich es getan habe, als du mich gebraucht hast. Aber in dieser Nacht werde ich kommen.


    Ich habe bereits einmal gebrannt und würde es wieder tun, wenn du die Wärme brauchst und allein bist. Dort wo du bist.
    Oft haben wir unter Brücken, zitternd in löchrigen Decken geschlafen. In Kellern, wo unsere Geheimnisse begraben sind. Noch heute?
    Ruinen, nichts als Staub und Steine.
    Machst du dir Sorgen, was aus mir geworden ist? Läufst du etwa vor dem Tag weg, an dem du mich ins Krankenhaus gebracht hast? Der Tod wäre nur eine Entschuldigung, um dich zu vergessen und selbst das ist mir verwehrt. Lass den Kelch an dir vorrübergehen und öffne die Augen.
    Sie haben die Zeugen verbrannt. Niemand weiß davon.
    Läufst du weg?
    Nimm die Zigarette, die noch nicht zur Asche zurückgekehrt ist und verjag deine Gedanken von Reue und Trauer. Mach dir um mich keine Sorgen.
    Verzeihen und vergessen. Wieder erleben und bedauern. Ein Teufelskreis.
    Der Morgen wird weitergehen, ohne dich. Nur mit mir. Ich werde marschieren. Über die Ebenen der ewigen Dämmerung. Die Sonne hat ihre Kraft längst verloren, mit der sie mich einst gebrandmarkt hat.
    Ich atme für mich allein. Ich bin einsam. Nur Staub und Finsternis. Vages Licht.
    Brennen, trotz Kälte. Lebend brennen, nur für dich. Ohne Hoffnung.


    Die Tauben und Blinden haben den Frieden gefunden, schon lange, und ich werde ihn nie erreichen. Ewige Verdammnis. Leben als Un-leben. Ihre Art von Geschenk.


    Ich gehe auf dem Sternengürtel des Orion. Ich gehe in die eine und in die andere Richtung. Sterne verglühen und Planeten sterben. Und werden neu geboren. Ich bewundere sie um diese Gabe, wenn man dies als Gabe nennen kann, und ich wandere weiter, immer weiter, bis ich eine neue Sonne finde, die mir das Licht zurückgibt.

  2. #2
    Wunderschön.

    Ich liebe Texte, die eine einzige Metapher sind, vorallem, wenn sie so nah gehen. Ich kann eigentlich nichts sagen außer: Wunderschön (das attestiert mir zwar keinen großen Wortschatz, aber...).

    Ehm...worauf du noch achten solltest ist vielleicht, einige Satzumbrüche nicht arg so krass zu gestalten, denn das veranlasst, den gesamten Satz mehrmals zu lesen, was die Flut deiner Worte ein wenig untergräbt, aber ansonsten ist dein Ausdruck meiner Meinung nach einwandfrei =).

    Wirklich sehr sehr schön (ja ich weiß, ich schmeiß heute viele neue Worte in den Text ) und rührend =)).

  3. #3
    Ein intensiver Text, wie ein langsamer Rausch, über Verlust, Vergessen, den Versuch des Weiterlebens, Verzweiflung und am Ende auch..

    Zitat Zitat
    bis ich eine neue Sonne finde, die mir das Licht zurückgibt.
    ..Hoffnung

    Das ist, was ich daraus lese, und es berührt mich persönlich.
    Du schaffst eine interessante Gradwanderung zwischen dem Overkill an Metaphern und Bildern auf allen Textebenen und einem trotzdem erstaunlich nüchternen Schreibstil, der sich weit von über-blumigen Ausdrücken und Kitsch fern hält.

    Gut gemacht

  4. #4
    Hallo ihr beiden!

    Danke fürs Lesen und eurem Kommentar. Find ich mal nett, dass der Text gut ankommt. Natürlich beruht der Text auf Verlust, Vergessen und Hoffnung. Nur kommt auch noch etwas vor, beziehungsweise handelt der Text auch auf einer anderen Ebene, die mit Sicherheit nicht so deutlich herauskommt. Obwohl da ein EIngeständnis eines Fehlers ist, ist es leider nicht möglich diesen Text wirklich umzuändern, ohne ihn zu zerstören. Das ist meine Sicht der Dinge. Es geht hier um etwas, dass es noch nicht gibt und besonders am Anfang fehlen die Hinweise, dass man darauf kommen könnte.
    Die Frage wird in den Raum gestellt ... das Wandern auf dem Sternengürtel des Orions ist nicht einmal direkt metaphorisch gemeint (funktionierend in beide Richtungen, versteht sich).
    Was könnte noch der Verlust der Sonne sein, wenn sie denn tatsächlich nicht mehr existiert? Taube und Blinde, die nicht auf Ethik und Moral hören und nicht sehen, dass sie Dinge tun, die allem zuwiderhandeln, das bisher gegolten hat. Sie haben den Frieden gefunden? Aber die ewige Verdammnis für den Prot? Die Ruinen, der Staub. Steine. Staub und Finsternis. Und vages Licht. Die Sonne ... erlischt?

    Jemand eine Idee?

    Gruß,
    Scare

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